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            ARCHIVE:
    DENKMALSCHUTZ
               In einer Stadt wie Marburg mit einer einzigartigen historischen Altstadt im Zentrum haben Denkmalpflege und Denkmalschutz eine besondere Bedeutung. In den vergangenen einhundert Jahren sind sehr viele denkmalgeschützte Gebäude und Ensembles in Marburg abgerissen worden, auch in jüngster Vergangenheit. Auf dieser Seite Materialien aus diesem Bereich. Siehe auch in anderen Archiven und Seiten zu aktuellen Themen..  | 
          
Weidenhausen: Ein Haus verrottet. Turnergarten gerettet (2006) Forderung der IG MARSS zum Denkmalschutz (2002) Angus Fowler: Denkmalschutz und Erhaltung des Marburger Stadtbildes Angus Fowler: Vortrag bei ICOMOS 2000 Prof. Dr.L. Hoischen in der FR über Marburger Welterbe Ambitionen 
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2010: Zwischen Weidenhausen und Weidenhäuser Brücke: ein denkmalgeschütztes Haus verrottet.
          
        
 
          
          
        Turnergarten
        gerettet!
Seit
        dem Sommer 2006 beschäftigen sich Denkmalschützer, Bürgerinitiativen,
        Parteien und engagierte Bürger mit dem Erhalt des Turnergartens aus dem
        Jahr 1903. Nachdem der bisherige Besitzer verschiedene Konzepte
        ausgelotet hatte, um das Gebäude in seiner jetzigen historischen und
        denkmalgeschützten inneren und äußeren Form zu erhalten, war zum
        Verkauf gekommen. Eine Umgestaltung in Wohnungen droht.
Die
        Marburger Linke Fraktion brachte Anträge in Parlament und Ausschüsse
        ein, in denen der Magistrat aufgefordert wird, alles zu tun um den
        Erhalt des Turnergartens zu ermöglichen und sei es durch Kaufübernahme.
Nachdem
        Bürgermeister Dr.Kahle sich öffentlich negativ zu einer Übernahme geäußert
        hatte, überraschte OB Vaupel die Bürger bei der Einweihung des
        Dr.Hanno Drechsler Platzes mit der Mitteilung, die Stadt werde alles tun
        um das Gebäude zu erhalten - das hätte auch OB Drechsler gemacht.
Magistrat
        und Parteien prüfen derzeit mögliche Nutzungskonzepte. Der neue
        Besitzer ist bereit, der Stadt die Immobilie abzutreten.
  Ortstermin
        im Turnergarten   
        Foto:
        Bernhard vom Brocke
Im
        Oktober 02
        stellte die IG MARSS ihre Arbeit in der 11.Sitzung des Denkmalbeirates
        in Marburg vor.
Der
        Denkmalschutz ist eines der
        prominenten Ziele der IG MARSS.  OB Möller erklärte in der
        Abschlußveranstaltung zur Bürgerbeteiligung auf Fragen des IG MARSS
        Vorstandsprechers Haberle, daß der Zugang zur Liste der denkmalgeschützten
        Gebäude und Ensembles gewährleistet sei. Dennoch liegt der IG MARSS
        bisher trotz Anfrage beim Landesamt für Denkmalpflege keine solche
        Liste vor.
Es
        ist in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, daß denkmalgeschützte
        Häuser der Abrissbirne zum Opfer fielen, um profitablen Investitionen
        Platz zu machen.
Die
        IG MARSS fordert die Marburger Bürger dazu auf, solche Vorfälle sofort
        der IG MARSS zu melden, bei der eine Liste gefährdeter Gebäude und
        Ensembles geführt wird, die laufend ergänzt wird. So droht z.B. der
        Abriss des Hauses rechts neben dem Oberstadtaufzug, das seit Jahren
        ungenutzt scheint und eigentlich restauriert werden müsste.
Auch
        Beobachtungen von Gefährdungen der Bausubstanz von denkmalgeschützten
        Häusern sollten der IG MARSS mitgeteilt werden:
Kontakt:
Angus
        Fowler / Vorstandsmitglied der IG MARSS e.V.  Telefon 06421-12094,
        Fax 161255
Stadtverordneten Sitzung
        am 26.1.01
        
  01.   Frage des
        Stadtverordneten Manfred Keller 
     
        Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
     
        Aufgrund der Satzung der Universitätsstadt Marburg für den
        Denkmalbeirat wird es  für wünschenswert
        gehalten, dass dieser die denkmalpflegerischen Belange gegenüber der Öffentlichkeit
        vertritt (vgl. § 2 Abs. 5). Warum ist das nicht der Fall bzw. hat der
        Beirat möglicherweise Angst, gegen den sog. „Maulkorberlass" des
        Magistrats zu verstoßen? Warum ist dieser Beirat z. B. nicht in der
        Lage, gegenüber der Öffentlichkeit klarzustellen, dass er 
        nicht  für die
        Streichung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes „Schwanallee
        30" ist? 
      
        Es antwortet der Oberbürgermeister.  
     
        Es ist richtig, dass der Denkmalbeirat der Stadt Marburg gemäß
        seiner Satzung (§ 2 - Aufgaben - Abs; 9 Satz 2) die
        denkmalpflegerischen Belange in seinem Arbeitsgebiet gegenüber der Öffentlichkeit
        vertreten kann (ist erwünscht). 
     
        Über das Bauprojekt Schwanallee 30, in das auch das denkmalgeschützte
        Gebäude einbezogen ist, hat der Denkmalbeirat bisher in 7 Sitzungen
        beraten. Die erste Sitzung im Jahre 2000 fand am 7. März und die letzte
        Sitzung am 5. Dezember statt. In der ersten Sitzung des Denkmalbeirates
        im Jahre 2001 (16. Januar) wurde das Bauprojekt ein weiteres Mal erörtert.
        In allen Sitzungen ist das Bauprojekt hinsichtlich der 
        Belange des Denkmalschutzes sehr kritisch und ausführlich
        behandelt worden. Insbesondere nachdem das Landesamt für Denkmalpflege
        Hessen (LfDH) die Denkmaleigenschaft des "Altbaus" von 1873
        zugunsten einer umfangreichen Reduzierung der 
        geplanten Neubauten im rückwärtigen Bereich ("Gartenflächen";
        heute steht dort eine Lagerhalle der ehemaligen Firma Bubenheim)
        aufgegeben hat. Dennoch hat der Denkmalbeirat einen Beschluss gegen den
        Abbruch und aufgrund der Aufgabe des     
        Gebäudes als Kulturdenkmal durch das LfDH einen weiteren ergänzenden
        Beschluss gefasst, wonach Einfluss auf die städtebauliche und
        architektonische Gestaltung der geplanten Neubauten zu nehmen ist und
        den entsprechenden Rahmen vorgegeben 
        In der letzten Denkmalbeiratssitzung am 16.01.2001 hat das LfDH
        seine Position dem Denkmalbeirat nochmals ausführlich erläutert. Der
        Denkmalbeirat hat daraufhin seine aktuelle Beschlusslage dahingehend
        abgeändert, als der Antrag das bisher als Denkmal deklarierte Gebäude
        Schwanallee 30 weiter als Kulturdenkmal zu erhalten aufgegeben wird.
        Bestand hat der Teil des Beschlusses, der sich mit Auflagen zu 
        dem vorliegenden Neubauentwurf beschäftigt. 
     
        Die Entscheidungen darüber, ob ein Gebäude oder bauliche Anlage
        als Kulturdenkmal deklariert oder diese Eigenschaft wieder aufgehoben
        wird, ist alleinige Sache des LfDH. Der Denkmalbeirat als auch die
        Untere Denkmalschutzbehörde (UDSchB) ha ben hierauf keinen Einfluss,
        sie können lediglich Empfehlungen hierzu aussprechen. 
    
        Grundsätzlich ist der Denkmalbeirat bestrebt, seine Arbeit der
        Öffentlichkeit mitzuteilen, jedoch unter Beachtung des Persönlichkeits-
        und Datenschutzes. Hierzu sind bereits im Denkmalbeirat Gespräche geführt
        worden. Um eine effektive und objektive Öffentlichkeitsarbeit zu gewährleisten,
        bedarf es jedoch einer sachkundigen Person, die sich dieser Arbeit
        annimmt. Aus den Reihen der Mitglieder des Denkmalbeirates als auch
        seitens der UDSchB kann diese Arbeit aus Zeitgründen nicht geleistet
        werden. Es wird daher angestrebt, auf Grundlage des § 4-
        Vertrauensleute - einen sachkundigen Bürger hierfür zu gewinnen. 
Einen
        "Maulkorberlass" für den Denkmalbeirat durch den Magistrat
        gibt es nicht. 
Zusatzfragen
        der Stadtverordneten Keller- Bündnis 90 / Die Grünen - und Köster-Sollwedel
        - PDS/ML - werden durch den Oberbürgermeister 
DENKMALSCHUTZ
        UND
        ERHALTUNG DES MARBURGER STADTBILDES
        
                                                                                    
        
Einer
        der Ausgangspunkte bei der Gründung der Marburger
        Geschichtswerkstatt 1984 war die Sorge und auch der Kampf um die
        Erhaltung verkannter und unbekannter Gebäude mit sozialer und
        historischer Bedeutung in Marburg : Beispielsweise eine Industrieanlage
        wie die Bierbrauerei Missomelius
        (in einer ansonsten an Industriedenkmälern armen Stadt) oder auch das
        Marburger Gefängnis. Dies sind sicherlich keine Baudenkmäler von hohem
        architektonischen Rang wie etwa das Marburger Schloß oder die
        Elisabethkirche, es sind/waren jedoch wichtige Zeugnisse ihrer Zeit. Der
        in einem Gutachten 1969 vorgeschlagene Abbruch bzw. die Flächensanierung
        der Altstadt kam glücklicherweise nicht - wie leider in manch anderer
        Stadt wie z. B. Gudensberg wenige Jahre später 1974- zur Ausführung.
        Infolge eines Wechsels in der politischen Führungsspitze der Stadt
        konnten unter dem Oberbürgermeister Drechsler größere Teile der
        Altstadt ohne Abbrüche saniert werden - wenn auch die Durchführung
        hinsichtlich der Authentizität von Materialien usw. nicht immer
        befriedigend ist. So stellt sich aktuell die Frage, wie das Haus Barfüßertor
        16 (erbaut um 1845), in dem sich noch mehrere schöne Fenster z. T. mit
        Originalglas befanden, nach der „Renovierung" aussieht? Erst
        Pionierarbeiten bei Ausgrabungen und Untersuchungen von Gebäuden (z. B.
        an der Stelle des abgerissenen Gymnasiums Philippinum(
        Untergasse) durch E. Altwasser und R. Groß verbunden mit archivarischer
        Forschung durch A. Fowler, unterstützt durch Hermann Bauer und Dr.
        Willi Görich, führten zur Gründung des Freien Instituts für
        Bauforschung und Dokumentation. Insbesondere archäologische
        Untersuchungen bleiben eher noch sporadisch, denn trotz der Bedeutung
        Marburgs mit seiner Universität und dem dort angesiedelten Seminar für
        Vor- und Frühgeschichte und dem Kunsthistorischen Institut sowie dem
        Landesamt für Denkmalpflege (Außenstelle Marburg) gibt es nach wie vor
        keinen archäologischen Dienst in dieser Stadt. Bisher wurde nicht
        einmal ein Gutachten über das archäologische Potential dieser Stadt
        und seiner Ortsteile erstellt, in dem aus archäologischer Sicht
        potentielle Gefahrenzonen aus-gewiesen würden. Bei geplanten Eingriffen
        in den Boden müsste es Pflicht sein, diese anzumelden, umeine archäologische
        Beobachtung und Begleitung zu gewährleisten.   
        - 
Viele
        historische Gebäude gingen schon vor
        1973 verloren, weitere wurden immer wieder auch danach
        abgebrochen - ein Trend, der sich bis heute fortsetzt: Vor 1973: u.a.
        das Wirtshaus
        an
        der
        Lahn,
        die Obere und Untere Siechen
        (beide auf der Denkmalliste von 1909!), die Stadtsäle,
        das Torhäuschen
        am Ende der Weidenhäuserstraße, die Alte
        Schäferei
        am Glaskopf, die Oberförsterei
        am Renthof, Häuser
        am
        Grün/Rudolphsplatz,
        der „Göpel"
        (durch Pferde betriebene Mühle) hinter der Herrenmühle,
        Bopps
        Terrassen,
        die Traubenapotheke
        (Reitgasse), die Häuser Markt
        8 und 10,
        der Englische
        Hof,
        die Elisabethschule,
        das Gymnasium Philippinum,
        der Rote
        Hof
        in Ockershausen usw. usf. 
 Seit
        1973: Teile der Herrenmühle
        (zum
        Bau der Volksbank), das Luisabad,
        Häuser am Biegeneck
        (u.a. das Eichamt), ein Haus in der Lingelgasse
        aus dem 14. Jahrhundert (auf Anordnung des Oberbürgermeisters
        Drechsler), die Schwanapotheke,
        zwei größere Häuser in der Wilhelmstraße
        (zum Ausbau von Ahrens und der Sparkasse), Barfüßerstr.
        7, Untergasse
        3, Gärtnerei Jakobi (Haus um 1830) am Barfüßertor, Jugendstilhäuser
        an der Ecke Wilhelmstraße/Friedrichstraße
        (zum Bau eines Wohnparks), Bierbrauerei Missomelius,
        entstellende Veränderung der sog. „Villa
        Siberia"
        am Schloß, Gastwirtschaft Ruppersberg
        und das älteste bekannte Schulgebäude
        Ockershausens
        (um 1690, Stiften-.
        27), der Hessische
        Hof
        (Elisabethstraße), Ketzerbach
        62 (Ziepprecht), Haus in Zwischenhausen,
        Teile der Rothermund'schen Lohgerberei.
        
 Es
        hat leider keine kontinuierliche kritische Initiative seitens
        interessierter und aufgeklärter Marburger Bürger gegeben, eine
        Streitkultur wurde von der Stadtverwaltung auch nicht gefördert oder
        gar gewünscht sondern eher unterdrückt. Bereits Ende des 19./Anfang
        des 20. Jahrhunderts kam es zu Protesten von Marburger Bürgern gegen
        Abbrüche von Häusern und das Abschlagen von Bäumen, die u.a. zur Gründung
        des Hessischen Heimatbundes (damals Bund Deutscher Heimatschutz)
        und 1909 zur Aufstellung einer Denkmalliste führten. 
 
        Anfang der 70er Jahre hat die Initiativgruppe Marburger
        Stadtbild u.a. mit zwei Heften - „Marburg im 
        Abbruch" und „Marburg im Wandel" - auf die
        anhaltenden Abbruche aufmerksam gemacht und vieles 
        getan, um weitere schlimme Abbrüche zu verhindern. Gegen den
        geplanten Abbruch der alten Universitätsbibliothek entstand eine
        Initiative im Südviertel, in den 80er Jahren protestierte die Marburger
        Geschichtswerkstatt (verbunden mit ihrem Mitglied, dem Förderkreis
        Alte Kirchen als dem damals aktivsten Denkmalschutzverein in
        Marburg) gegen den Abbruch der Bierbrauerei Missomelius und für die
        Erhaltung des ehemaligen Gefängnisses. Um 1990 entlud sich vor allem
        studentischer Protest gegen die Abbrüche am Biegeneck. 
 
        Ein danach entstandenes Aktionsforum  zur Erhaltung des
        Marburger Stadtbildes und Stadtentwicklung hat 
        sich mit den Plänen für die Entwicklung des Gebietes
        Schlachthof/Luisabad und des
        Feesergeländes
        befasst. Der Arbeitskreis brachte in Erfahrung, daß die neuere
        Entwicklung in Marburg in anderen Orten 
        durchaus bekannt, berüchtigt und notorisch war (insbesondere war
        der Abbruch des Luisabades an anderen Orten bekannt), wegen weiterer
        fehlender Teilnahme jedoch ging dieser bald wieder ein. Die
        traditionellen Vereine, die sich auch mit Denkmalschutz - wenigstens
        laut ihrer Satzungen - befassen müssten, nämlich der Marburger
        Geschichtsverein und der Hessische Heimatbund, blieben in den späteren
        80er Jahren und in den 90er Jahren eher stumm, die Geschichtswerkstatt
        (hingegen) hat sich in dieser Zeit mit ganz anderen Fragen befasst. Der
        Denkmalbeirat (gegründet infolge des Hessischen Denkmalschutzgesetzes
        von 1974) kann nur unverbindliche Empfehlungen der Stadt unterbreiten
        und blieb unter städtischer Kontrolle leider machtlos. Der zuständige
        Bezirkskonservator vom Landesamt für Denkmal- pflege scheint meist zu
        kompromissbereit, wenig interessiert und nicht einsatzbereit zu sein.
 Die
        Stadt Marburg und in den letzten Jahren ganz besonders das Stadtbild hat
        empfindlich gelitten. Von den offiziellen Behördenvertretern verraten
        und verkauft, werden künftige Generationen ihnen dafür nicht danken
        oder verzeihen. 
 In
        Konkurrenz mit Gießen und der Bestrebung „Oberzentrum" und
        „City" zu sein haben Größenwahn- sinn und Großmannssucht die
        Vertreter der Stadt angesprochen - vor kurzem Biegeneck,
        Erlenringcenter, jetzt der Bereich Luisabad/Schlachthof mit Hängebrücke
        (nah an der ehemaligen Zootomie / Restaurant „Kalimera"!), künftig
        Feeser-Gelände und Fronhof. Im letzten Moment - sozusagen als Rettung
        der Ehre Marburgs - haben sich Marburger Bürger wieder zu Wort gemeldet
        und ein „Aktionsforum Stadtentwicklung" gebildet. Es ist
        zu wünschen, dass das Blatt der zunehmenden Verschandelung des
        Marburger Stadtbildes doch noch im letzten Moment gewendet werden kann.
        Sicherlich ist es aber längst zu spät für einen erfolgreichen Antrag
        der Stadt Marburg auf Eintragung in die UNESCO Liste des Welterbes, denn
        hierfür ist die Erhaltung nicht nur von Einzeldenkmälern wie dem Schloss,
        der Elisabethkirche oder der Altstadt sondern auch des gesamten
        Stadtbildes und der Umgebung der Stadt unabkömmlich/notwendig. 
 Dipl.
        Arch. Ing. Dr. Techn. Andräs Roman, Privatdozent an der TU Budapest und
        früherer Leiter der Inspektion beim Ungarischen Denkmalsamt / Budapest,
        erstellte in seiner Funktion als Vizepräsident von ICOMOS
        (International Council of Monuments and Sites, eine Unterorganisation
        der UNESCO) und Vorsitzender des Ausschusses für Historische Städte
        (und langjähriger Gutachter für die UNESCO Welterbe-Liste) im Auftrag
        des Hessischen Heimatbundes, der Marburger Geschichtswerkstatt, des Förderkreises
        Alte Kirchen und des Arbeitskreises Dörfliche Kultur ein Gutachten zum
        Stadtbild Marburgs, das 1991 an die Stadt Marburg gerichtet worden war.
        Diese bedeutende internationale Einschätzung des Marburger Stadtbildes
        wurde der Stadt Marburg zugestellt, aber bis heute gänzlich ignoriert,
        nicht einmal zur Kenntnis genommen und verschwand in den Akten. Deswegen
        lohnt es sich noch heute daran zu erinnern ... 
 Auszug
        aus einem Vortrag von Angus Fowler,
        Internationales 
Symposium
        ICOMOS 2000, Prag 16.-19. Mai 2000 
 
          Marburg,
        oder besser die Verwaltung der Stadt, war in der Vergangenheit und ist 
        noch heute mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits ist man
        stolz auf die  historische
        Altstadt und deren Restaurierung und auf die großen Denkmäler, wie das 
        Schloss und die Elisabethkirche und ist bemüht, mehr Touristen
        anzulocken. - In der  Tat,
        sowohl Stadtverwaltung/Magistrat als auch der zuständige Beamte des
        Landesamtes für  Denkmalpflege
        hätten es gerne, wenn Marburg als Weltkulturerbe anerkannt würde 
        (eine Bewerbung für die Elisabethkirche wurde jedoch schon 1982
        abgelehnt). -  Andererseits
        will die Stadtverwaltung besonders der Oberbürgermeister, dass 
        Marburg in Konkurrenz zu dem benachbarten Gießen verstärkt die
        Aufgaben eines  „Oberzentrums"
        übernehmen soll. Allerdings wird die Entwicklung Marburgs durch 
        die hohen Hügelketten auf beiden Seiten des Lahntals stark
        eingeschränkt, während  Kassel
        und Gießen für weitere Ausdehnungen offen sind. Marburg ist praktisch
        noch  immer ohne Industrie.
        Die Stadt ist zwar für den Kulturtourismus interessant, sie ist aber
        wegen ihrer Lage, abseits der wichtigen Verkehrswege, im Vergleich zu 
        Heidelberg oder Rothenburg ob der Tauber, international fast
        unbekannt. Die Stadtverwaltung versucht deshalb, die weitere Entwicklung
        und das Steuereinkommen  über
        Handel und Dienstleistungen zu forcieren, ohne allerdings einen dazu
        notwendigen Gesamtentwicklungsplan unter Berücksichtigung alter Aspekte
        einschließlich der Erhaltung und dem Schutz des Stadtbildes, speziell
        in der unmittelbaren Umgebung der Altstadt, zu erstellen. Gerade die
        unmittelbare Umgebung der Altstadt wurde in negativer Weise verändert
        und ernsthaft geschädigt und das nicht nur durch die Stadtautobahn und
        die älteren hochaufragenden Gebäude der 60er und 70er Jahre, sondern
        auch durch neue Bebauungen der letzten 10 Jahre: Supermärkte, Parkhäuser,
        ein großes Multiplexkino, das noch im Bau ist und ganz allgemein durch
        eine Architektur von minderer Qualität. Marburg wurde - wenn ich den
        Ausdruck benutzen darf - betrogen von einer mittelmäßigen Verwaltung,
        die voller Ehrgeiz grandiose Projekte entwickelt. Die Vertreter der
        lokalen und staatlichen Denkmal- pflege waren nicht in der Lage -
        infolge von Schwäche oder Kompromissbereitschaft - die Entwicklungen
        rechtzeitig aufzuhalten, sie haben erst protestiert, als die Pläne
        bereits genehmigt waren. Besonders skandalös war die Genehmigung ,die
        von den Bürokraten der städtischen Baubehörde für die neuen
        Bauprojekte erteilt wurden. Das städtische Hallenbad aus den 20er
        Jahren - ein schönes Gebäude und Beispiel für die Zeit der Erbauung,
        wurde abgerissen (andere Städte, wie Hannover und Stuttgart dagegen
        haben ihre Hallenbäder gerettet und restauriert). 
 Während
        in den 70er Jahren schlimmere Zerstörungen durch den starken Protest
        von Bürgern und Fachleuten verhindert wurden, fand ein Protest in den
        80er und 90er Jahren entweder nicht statt oder wenn, dann wurde er
        ignoriert oder sogar unterdrückt (1990/91). Erst im August 1999 als
        Reaktion auf einen schrecklichen Plan für ein weiteres modernes
        Projekt, das die Sicht auf die Stadt von Osten versperrt, hat sich eine
        Bürgeraktion für Stadtentwicklung gebildet - zu spät, um das  
        Projekt zu verhindern. 
 Marburg
        und seine Verwaltung werden jetzt aus den Fehlem der vergangenen Jahre
        im Umgang mit dem Stadtbild zu lernen haben. Zieht man die rücksichtslose
        und unsensible kürzliche Entwicklung rund um die Altstadt in Betracht,
        dann wäre es völlig unangebracht, für diese den Status eines
        Weltkulturerbes zu erteilen, wenn man bedenkt, dass
        dieser Status für Lübeck, Potsdam, Kiew und Ohrid kürzlich, wegen ähnlicher
        Entwicklungen in diesen Städten in Frage gestellt wurde. Während der
        ersten wichtigen Phase der Entwicklung auf dem Biegeneck-Gelände von
        Marburg 1991haben zahlreiche Fachleute Dr. Andreas Roman angesprochen
        mit der Bitte, sich zu Marburgs Wichtigkeit als historische Stadt und zu
        den modernen Entwicklungen mit Vorschlägen für Verbesserungen zu äußern,
        Dr. Roman, zu dieser Zeit europäischer Vizepräsident von ICOMOS und
        Vorsitzender des Komitees für historische Städte und Dörfer, später
        auch noch Präsident von ECOVAST, hob besonders die Wichtigkeit der
        sensiblen Erhaltung der Umgebung der Marburger Altstadt hervor. Seine an
        die zuständigen Behörden der Stadt gesandten Empfehlungen wurden aber
        bis auf den heutigen Tag ignoriert! 
 (Angus
        Fowler ist Vorstandsmitglied im Förderkreis
        Alte Kirchen
        e.V. Marburg, Vorstandsvorsitzender
        des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Branderburg, Ratsmitglied
        von Europa Nostra und EGOVAST (European Council for the
        Village and Small Town) Fowler erhielt 2001 das Bundesverdienstkreuz.
        
 
        
 
         Prof.
        Dr. Lothar Hoischen
        in der FR über die Marburger Welt-Kulturerbe-Ambitionen  18.1.2001
        
 Bausünden
   
        Zu dem Artikel Der dritte Versuch, Weltkulturerbe zu werden
        (FR vom 4. Januar 2001) von Gesa Coordes: Für die
        Anerkennung einer Stadt als Weltkulturerbe durch die Unesco sind zwei
        Bedingungen unverzichtbar: Eine solche Stadt sollte nicht nur bedeutende
        kulturhistorische Werte, sondern auch eine besonders
        verantwortungsbewusste  Baupolitik 
        zum Schutz ihres Kulturerbes in der jüngeren Stadtentwicklung
        nachweisen können.   Die
        erste Auflage erfüllt das mit kulturellen Gutem reich gesegnete Marburg
        vielleicht noch. Jedoch können die heilige Elisabeth, Schloss und
        Altstadt als Marburgs Symbole die katastrophale Baupolitik der letzten
        Jahrzehnte nicht mehr kaschieren. Von nahezu allen politischen Parteien
        unterstützt, hat sich Marburgs Stadtentwicklung zumeist nur an den
        Gewinninteressen von Investoren orientiert.
 Das
        führte in vielen Fällen zum Abriss wertvollster Bausubstanz und zur
        schwerwiegenden Schädigung des gesamten historischen Stadtbildes durch
        öde Großbauten. Trotz heftiger Proteste hat die Stadt Marburg aus
        ihren Bausünden bis heutenichts gelernt. 
        Zwar wurde der allerengste  Altstadtbereich 
        denkmalpflegerisch geschützt. Aber in dem direkt am Fuße des
        Altstadthügels gelegenen Lahnbereich, der das historische Ensemble
        Marburgs so wesentlich mitprägt, erdrückt eine triste
        Beton-Gigantomanie schlechtester  Architektur 
        das  charakteristische
        Stadtbild.
  
        Ein überdimensioniertes Multiplexkino sowie 
        mehrere  Einkaufszentren, 
        für die gar kein Bedarf besteht, zerstören neuerdings nicht nur
        das einmalige Stadtpanorama, sondern auch das Gesamtbild einer
        Flusslandschaft, die früher einen tou rismusfördemden Erlebniswert
        hatte. Der Lahnbereich und das Stadtbild wurden hier obendrein durch die
        Stadtautobahn unverantwortlich geschädigt. Als Weltkul turerbe hat eine
        Stadt übrigens gegen über der Unesco nicht nur eine Berichts-, sondern
        auch eine Anmeldepflicht, wenn Neubaumaßnahmen geplant sind, die
        „Auswirkungen auf den Wert des Kulturgutes als Teil des Erbes der Welt
        haben".
  
        Daher dürfte sich wohl jeder Anspruch Marburgs erübrigen,
        Weltkulturerbe zu werden. Der Bundesverband Landschaftsschutz
        protestiert gegen die Zerstörung historisch gewachsener
        Stadtlandschaften durch sinnlose Großbauten, wie es in Marburg
        geschehen ist. Ebenso wie der Schutz der naturgeprägten Landschaften
        wird der Schutz unserer Stadtlandschaften eine immer wichtigere Aufgabe
        in der uns umgebenden Lebensumwelt.
               
        Prof. Dr. Lothar Hoischen  Stellv.
        Vorsitzender des Bundesverbandes Landschaftsschutz 
         Marburg
         
          
        
        
        
		
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